Zwei hartnäckige Patent-Irrtümer

Im Blogbeitrag “Patent: Wirkungen und Verwertungsmöglichkeiten” wurde bereits auf die Wirkungen eines Patents eingegangen. So heißt es im Gesetz, dass “allein der Patentinhaber befugt ist, die patentierte Erfindung im Rahmen des geltenden Rechts zu benutzen”. Erfahrungsgemäß enstehen aus dieser Formulierung zwei wesentliche Irrtümer auf Seiten von Patentinhabern und -anmeldern, die sich besonders hartnäckig halten und nach Möglichkeit bereits vor einer Patentanmeldung aus der Welt geschafft sein sollten.

Den vorliegenden Blogbeitrag können Sie sich auch in unserem
Podcast Patent, Marke & Co. anhören.

Der erste Irrtum besteht darin, dass man glaubt, ein Patent zu benötigen, um überhaupt eine Erfindung benutzen zu können. Es wird also fälschlicherweise davon ausgegangen, dass es eines Patents oder einer Patentanmeldung bedarf, um ein erfindungsgemäßes Produkt beispielsweise herstellen und in Verkehr bringen zu dürfen. Dies ist jedoch nicht der Fall, zumal man eine Erfindung unabhängig davon benutzen darf, ob diese durch ein eigenes Patent geschützt ist oder eben nicht. Natürlich läuft man damit Gefahr, dass Wettbewerber die Erfindung kopieren können, ohne dass aus einem Patent dagegen vorgegangen werden könnte, aber dies ist letztlich eine unternehmerische Entscheidung.

Ein Benutzungsverbot der Erfindung kann aber selbstverständlich dann gegeben sein, wenn ein Wettbewerber bereits ein Patent auf das herzustellende Produkt hält, so dass das Produkt – und sei es auch nur mit einer Komponente desselben – das bestehende Patent des Wettbewerbers verletzt. Aus diesem Grunde ist es – auch wenn man sich gegen ein eigenes Patent entscheidet – unverzichtbar, sich vor der praktischen Umsetzung einer Erfindung Klarheit darüber zu verschaffen, ob seitens Dritter Patente oder andere Schutzrechte bestehen, die man mit der Benutzung der Erfindung verletzen könnte. Dies tut man in Regel durch sogenannte Freedom-to-Operate-Recherchen. Bei diesen sollte nicht nur der Kerngedanke der eigenen Erfindung, sondern das herzustellende Produkt mit all seinen wesentlichen Merkmalen auf mögliche Patentverletzungen “abgeklopft” werden, was je nach Komplexität des Produkts recht aufwendig sein kann.

Der zweite Irrtum besteht darin, dass man glaubt, man könne mit einem eigenen Patent die zugrundeliegende Erfindung in jedem Fall ungestraft umsetzen, also beispielsweise das patentgeschützte Produkt unbehelligt herstellen oder in Verkehr bringen. Dieser Irrtum beruht auf der Annahme, dass man ja etwas Einzigartiges erfunden habe, das mit einem Patent gewürdigt wurde und somit auch nicht durch andere verboten werden könne. Dies ist in dieser Pauschalität jedoch insofern eine Fehlannahme, als dass Erfindungen und auch daraus hervorgehende Patente meist auf einer bestehenden Technik basieren, die durchaus bereits durch Patente von Wettbewerbern geschützt sein kann. Mithin können jüngere Patente von älteren Patenten abhängig sein. Da die angesprochene Abhängigkeit von Patenten in der Regel für Verwirrung sorgt, nachfolgend ein fiktives Beispiel.

In diesem Beispielfall soll ein älteres Patent für einen Fußballschuh existieren. Der geschützte Fußballschuh weist ein Oberteil, eine Sohle und hervorstehende Stollen an der Sohle auf, wobei die Stollen dem Fußballer einen besonders sicheren Halt auf dem Spielfeld geben sollen. Da am Anmeldetag des älteren Patents lediglich Schuhe mit Profilsohlen bekannt waren, aber Schuhe mit hervorstehenden Stollen an der Sohle weder bekannt, noch naheliegend waren, wurde das ältere Patent erteilt.

Ein Käufer dieser Fußballschuhe mit Stollen hat sich nun darüber geärgert, dass die Stollen an der Sohle recht schnell verschleißen und für unterschiedliche Untergründe nicht gleichermaßen geeignet sind. Vor diesem Hintergrund hat der Käufer, der gleichermaßen Schuhmacher ist, einen Fußballschuh entwickelt, der ebenfalls ein Oberteil, eine Sohle und hervorstehende Stollen an der Sohle aufweist, allerdings sollen die Stollen austauschbar an der Sohle befestigt sein, um beispielsweise verschlissene Stollen ersetzen und unterschiedliche Stollen für unterschiedliche Untergründe verwenden zu können. Da diese Lösung weder in dem älteren Patent, noch im weiteren Stand der Technik erwähnt oder durch diesen nahegelegt war, wurde dem Schuhmacher hierfür ein jüngeres Patent erteilt. Man kann auch sagen, dass hier eine innovative Weiterentwicklung des bestehenden Fußballschuhs ebenfalls durch ein Patent belohnt wurde, das einen jüngeren Zeitrang als das ältere Patent hat.

Ungeachtet dessen kann der Inhaber des älteren Patents dem Schuhmacher die praktische Umsetzung seines jüngeren Patents verbieten, d. h. der Schuhmacher darf seine patentierten Fußballschuhe beispielsweise nicht herstellen, anbieten und in Verkehr bringen. Der Inhaber des älteren Patents genießt nämlich ganz allgemein Schutz für Fußballschuhe mit Stollen. Für den Schutzbereich des älteren Patents ist es unerheblich, auf welche Weise die Stollen an der Sohle angeordnet sind, und der Schuhmacher würde in jedem Fall Fußballschuhe mit Stollen herstellen, anbieten und verkaufen, wodurch seine Fußballschuhe in den Schutzbereich des älteren Patents fielen. Es ist zwar anzumerken, dass dieses “Spiel” auch eingeschränkt in der anderen Richtung funktioniert, denn der Schuhmacher könnte dem Inhaber des älteren Patents zumindest die Benutzung des weiterentwickelten Fußballschuhs mit den austauschbaren Stollen verbieten, die durch das jüngere Patent geschützt sind. Sollte der Inhaber des älteren Patents jedoch nicht auf die Benutzung dieser Weiterentwicklung angewiesen sein, so wird der Schuhmacher die beliebte Fußballweisheit Otto Rehhagels relativ schnell verstehen lernen: “Mal verliert man, mal gewinnen die anderen.”

Zusammenfassend sollten Pateninhaber und -anmelder die folgenden drei Merksätze verinnerlichen, um den beiden vorangehend geschilderten Patent-Irrtümern nicht erneut zu erliegen:

  1. Sie benötigen kein eigenes Patent, um eine Erfindung benutzen zu dürfen.
  2. Ein eigenes Patent schützt Sie nicht davor, dass Sie durch Benutzung des eigenen Patents ein anderes Patent verletzen.
  3. In beiden Fällen, also ob mit oder ohne eigenes Patent, müssen Sie vor der Benutzung des Patents bzw. der Erfindung sicherstellen, dass Sie mit der Benutzung keine Patente Dritter verletzen.