Deutsches und Europäisches Patent parallel?

Ich vertrat kürzlich den Inhaber eines deutschen Patents in einer mündlichen Verhandlung eines gegen den Rechtsbestand eben dieses Patents gerichteten Einspruchs. Parallel zu dem deutschen Patent bestand bereits ein europäisches Patent zu der Erfindung mit Wirkung in Deutschland. Auch unabhängig von diesem konkreten Fall und dessen zusätzlichen „Feinheiten“ stellen Patentanmelder häufig die Frage, ob es denn überhaupt sinnvoll sei, für eine Erfindung sowohl ein deutsches Patent als auch ein europäisches Patent mit Wirkung in Deutschland anzustreben. Denn letztlich müsse man dann zusätzlich Jahresgebühren für das deutsche Patent entrichten. Tatsächlich kann dies sinnvoll sein, wobei es – wie so oft – auf die konkrete Fallgestaltung ankommt, wie dies nachfolgend anhand eines vereinfachten Beispielfalls erläutert werden soll.

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Angenommen Sie hätten ein Produkt erfunden, das ein besonderes Merkmal A aufweist. Darüber hinaus soll das erfindungsgemäße Produkt weitere vorteilhafte Nebenaspekte in Form der Merkmale B und C beinhalten. In der zugehörigen deutschen Patentanmeldung landet also das wesentliche Merkmal A im Hauptanspruch, der den angestrebten größtmöglichen Schutzbereich definiert, während die Merkmale B und C jeweils in einen vom Hauptanspruch abhängigen Unteranspruch aufgenommen sind. Zur Bedeutung und Struktur der Patentansprüche sei auf den Blogbeitrag „Patentanmeldungsentwurf effektiv prüfen“ verwiesen. Innerhalb von 12 Monaten nach der deutschen Patentanmeldung wurde dann dieselbe Anmeldung unter Inanspruchnahme der Priorität aus der deutschen Patentanmeldung als europäische Patentanmeldung eingereicht, so dass nunmehr eine deutsche und eine europäische Patentanmeldung parallel nebeneinander bestehen.

Während für die deutsche Patentanmeldung noch kein Prüfungsantrag gestellt wurde, erfolgt die Prüfung der europäischen Patentanmeldung im Europäischen Patentamt mit dem rechtskräftigen Ergebnis, dass wegen des entgegenstehenden Standes der Technik zwar ein europäisches Patent erteilt wird, dies aber nur mit einem eingeschränkten Schutzumfang, nämlich mit einem Hauptanspruch, der die Merkmale A und B beinhaltet. Mithin besteht in Deutschland nunmehr ein Schutz durch das europäische Patent für ein Produkt, das die Merkmale A und B vereint.

Nachdem der Schutzumfang des europäischen Patents feststeht, schlägt die Stunde der deutschen Patentanmeldung, für die die Prüfung beantragt wird. Ziel des deutschen Prüfungsverfahrens ist es zumindest derzeit noch, einen größeren oder anderen Schutzumfang als mit dem europäischen Patent zu erzielen. Sollte die Prüfungsstelle des Deutschen Patenamts zu einem anderen Ergebnis gelangen als das Europäische Patentamt und ein deutsches Patent auf Grundlage des ursprünglichen Hauptanspruchs erteilen, wird ein größerer Schutzumfang mit dem deutschen Patent erzielt. So stehen hierdurch alle Produkte mit dem Merkmal A allein unter Schutz, während das europäische Patent lediglich Produkte mit sowohl dem Merkmal A als auch dem Merkmal B unter Schutz stellt. Sollte die deutsche Prüfungsstelle den ursprünglichen Hauptanspruch jedoch ebenfalls als nicht gewährbar ansehen, einen neuen Hauptanspruch mit den Merkmalen A und C jedoch schon, so wird hierdurch ein anderer Schutzumfang erzielt. Somit könnte aus dem deutschen Patent gegen Verletzer vorgegangen werden, deren Produkt die Merkmale A und C, nicht aber B, aufweist, während das europäische Patent ein Vorgehen gegen Verletzer ermöglicht, in deren Produkt die Merkmale A und B, nicht jedoch C, realisiert sind.

Der Ansatz, mit dem deutschen Patent einen größeren oder anderen Schutzumfang zu erzielen und somit eben nicht denselben Schutzumfang wie mit dem europäischen Patent, erscheint also zunächst sinnvoll, sofern der Patentanmelder Interesse an einem solchen Schutz hat. Darüber hinaus war dieser Ansatz in der Vergangenheit aufgrund des „Gesetzes über internationale Patentübereinkommen“ (IntPatÜG) sogar notwendigerweise geboten. Dieses Gesetz sah und sieht nämlich ein Doppelschutzverbot vor. Dieses Doppelschutzverbot besagt im Wesentlichen, dass ein deutsches Patent in dem Umfang, in dem es dieselbe Erfindung wie das europäische Patent schützt, keine Wirkung hat. Derselbe Schutzumfang wie das europäische Patent würde das erteilte deutsche Patent somit dauerhaft nutzlos machen.

Mittlerweile wurde das IntPatÜG an die Regelungen des neuen Einheitlichen Patentgerichts angepasst. Das Doppelschutzverbot gilt seitdem nur noch für europäische Bündelpatente, bei denen der Patentinhaber aktiv für die Zuständigkeit der nationalen Gerichte optiert hat (OPT-out). Europäische Bündelpatente, für die das Einheitliche Patentgericht ausschließlich zuständig ist, sowie europäische Einheitspatente führen hingegen nicht zu einem Doppelschutzverbot. Auch ist derzeit absehbar, dass die Option, die nationale Zuständigkeit für Bündelpatente zu wählen, in ca. sechs Jahren entfällt, so dass das Doppelschutzverbot bald gänzlich Geschichte sein könnte. In Fällen ohne Doppelschutzverbot kann übrigens auch derselbe Schutzumfang eines deutschen Patents sinnvoll sein, wenn sich der Patentinhaber offenhalten möchte, ob ein deutscher Verletzer aus dem europäischen Patent vor dem Einheitlichen Patentgericht oder aus dem deutschen Patent vor einem deutschen Landgericht verklagt werden soll.

Weitere Informationen zu den Begriffen Einheitliches Patentgericht, Bündelpatent und Einheitspatent finden Sie im Blogbeitrag „Einheitspatent – Was man darüber wissen sollte„.