Vielfach werden Patentanmelder durch einen Prüfungsbescheid des Patentamts erstmalig ernsthaft mit dem Begriff des Standes der Technik konfrontiert. In einem solchen Prüfungsbescheid ist dann zumeist von Dokumenten des Standes der Technik oder Entgegenhaltungen die Rede, bei denen es sich in der Regel um ältere Patentanmeldungen oder Patente handelt. Diese Fokussierung des Patentamts auf einen von älteren Patentanmeldungen und Patenten gebildeten Stand der Technik ist durchaus sinnvoll, zumal in dieser Patentliteratur schätzungsweise 90% des weltweit vorhandenen technischen Wissens wiedergegeben ist. Für den Stand der Technik existieren jedoch noch andere Quellen, auf die näher eingegangen werden soll.
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Den so genannten Stand der Technik kann man sich als ein bekanntes bislang erreichtes technisches Niveau vorstellen, über das sich eine Erfindung erheben muss, um die Patentwürdigkeit der Erfindung in einem Anmeldeverfahren feststellen zu können. So wird ein Patent nur für eine Erfindung erteilt, die neu ist, also nicht zum Stand der Technik gehört (§ 3 Abs. 1 PatG), und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht , also sich nicht für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt (§ 4 Abs. 1 PatG).
Eine zeitliche Begrenzung für den Stand der Technik bildet der Anmeldetag oder – sofern eine Priorität in Anspruch genommen wurde – der Prioritätstag einer Patentanmeldung. Allgemein wird hier auch vom Zeitrang einer Patentanmeldung gesprochen. So umfasst der Stand der Technik alle Kenntnisse, die vor dem für den Zeitrang der Anmeldung maßgeblichen Tag der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind (§ 3 Abs. 1 PatG). Während sich über die öffentliche Zugänglichkeit mitunter trefflich streiten lässt, was auch zu entsprechenden höchstrichterlichen Entscheidungen geführt hat, ist diese in den meisten Fällen doch recht klar gegeben und auch zeitlich bestimmbar.
Interessanter ist hier jedoch, was das Deutsche Patentgesetz nicht sagt, nämlich dass die öffentliche Zugänglichkeit in Deutschland gegeben sein müsste, um einen Stand der Technik zu generieren. Mit anderen Worten umfasst der Stand der Technik nicht nur die in Deutschland, sondern alle weltweit öffentlich zugänglich gemachten Kenntnisse. Eine räumliche Begrenzung des Standes der Technik besteht folglich nicht. Mithin bildet beispielsweise auch eine vorangegangene südamerikanische, asiatische oder australische Veröffentlichung Stand der Technik in einem deutschen Verfahren.
Gleichermaßen wissenswert ist, dass das deutsche Patentgesetz – mit hier nicht näher beleuchteten, weil eher speziellen Ausnahmen – auch nicht auf die Person des Veröffentlichers der Kenntnisse abstellt. Dies hat zur Folge, dass auch eine vorherige Veröffentlichung des Patentanmelders selbst zum Stand der Technik wird, der dem eigenen Patentbegehren entgegengehalten werden kann und womöglich eine Patenterteilung vereitelt.
Nachdem geklärt ist, dass es keine räumliche Begrenzung für den Stand der Technik gibt und auch die Person des Veröffentlichers – in der Regel – keine Rolle spielt, bleibt die Frage, in welcher Form der Stand der Technik der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann. Hier spricht das Gesetz von schriftlichen Beschreibungen. Diese sind beispielsweise in Büchern, Zeitschriften, Broschüren, Internetblogs oder eben auch der eingangs genannten Patentliteratur enthalten. Jedoch auch mündliche Beschreibungen sind ausdrücklich erwähnt, die naturgemäß im Rahmen von Vorträgen, Seminaren oder anderen Redebeiträgen vorgenommen werden, ohne dass eine schriftliche Fixierung des Inhalts stattgefunden haben muss. Auch durch die in § 3 PatG genannte Benutzung können Kenntnisse der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und somit zum Stand der Technik werden. Hier sei beispielhaft ein öffentlicher Einsatz einer Vorrichtung genannt, der gegebenenfalls die Vorrichtungsmerkmale und sogar das der Vorrichtung zugrundeliegende Verfahren zum Stand der Technik machen könnte, ohne dass eine schriftliche oder mündliche Beschreibung existieren müsste. Darüber hinaus sieht das Gesetz – quasi als Auffangtatbestand – auch in sonstiger Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemachte Kenntnisse vor.
Ergänzend sei noch auf einen speziellen Stand der Technik hingewiesen, der auch als nachveröffentlichter Stand der Technik bezeichnet wird und mit dem man häufiger auf einem technischen Gebiet konfrontiert ist, auf dem ein intensiver Patentwettbewerb stattfindet. Der nachveröffentlichte Stand der Technik wird durch fremde oder auch eigene Patentanmeldungen geschaffen, die zwar vor dem Zeitrang der zu prüfenden Patentanmeldung angemeldet, jedoch erst an oder nach diesem Zeitrang veröffentlicht wurden (§ 3 Abs. 2 PatG). Da der Erfinder diesen Stand der Technik aber gar nicht kennen konnte, wird der nachveröffentlichte Stand der Technik lediglich bei der Prüfung der Neuheit einer Erfindung berücksichtigt, nicht aber bei Prüfung auf erfinderische Tätigkeit.
Aus den vorangehenen Ausfühungen ist ersichtlich, dass der Stand der Technik nicht nur auf schriftliche Beschreibungen in älteren Patentanmeldungen oder Patenten beschränkt ist. Da die im Prüfungsverfahren entgegengehaltenen Druckschriften aber überwiegend ältere Patentanmeldungen oder Patente sind, führt dies zuweilen zu einem Missverständnis auf Seiten des Patentanmelders, das noch abschließend beseitigt werden sollte. So gehen einige Patentanmelder davon aus, dass eine als Stand der Technik im Prüfungsverfahren entgegengehaltene Patentschrift, die die Neuheit oder erfinderische Tätigkeit der Erfindung in Frage stellt, gleichermaßen die Wirkung hat, dass man die Erfindung wegen dieser Patentschrift gar nicht benutzen dürfe. Das amtliche Patentanmeldeverfahren klärt aber lediglich die Frage, ob die Erfindung angesichts der Offenbarung in der entgegengehaltenen Patentschrift patentwürdig ist, nicht ob das entgegengehaltene Patent überhaupt noch in Kraft ist und die Erfindung in den Schutzbereich eines solchen Patents fiele, der durch dessen Patentansprüche vorgegeben ist.